Benediktiner spricht in Köln über den Gazakrieg„Ich bin weder pro Israel noch pro Palästina. Ich bin pro Mensch“

Lesezeit 4 Minuten
Die Skyline von Jerusalem

Die Skyline von Jerusalem

Von Jerusalem nach Köln: Benediktiner-Abt Nikodemus Schnabel sprach bei einem Vortrag an der KHKT über die christliche Perspektive auf den Nahostkonflikt. 

Auf die Frage, ob er es genießt, gerade in Deutschland zu sein, antwortet Nikodemus Schnabel ein entschiedenes „Nein“. Mit dem Herzen und dem Verstand, sagt der Benediktinermönch, sei er noch immer in Jerusalem. Dort leitet er als Abt die Dormitio-Abtei auf dem Berg Zion und das Priorat Tabgha am See Gennesaret, und seine seelsorgerischen Fähigkeiten werden seit dem Beginn des Krieges zwischen Israel und der Terrormiliz Hamas im letzten Jahr mehr denn je gebraucht.

An diesem Dienstagabend ist Nikodemus Schnabel jedoch nicht in Jerusalem, sondern in Deutschland, steht auf Einladung der Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT) und des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande am Rednerpult in der Aula der KHKT. Seit über zwanzig Jahren lebt er in Jerusalem, kennt die Region und ihre Menschen gut. Wie ist also seine Perspektive auf den Krieg?

Der Benediktiner-Abt Dr. Nikodemus C. Schnabel bei einem Vortrag in der Aula der Kölner Hochschule für Katholische Theologie

Der Benediktiner-Abt Nikodemus Schnabel

Der mediale Diskurs, sagt Schnabel, sei ungemein polarisierend und es gebe einen hohen Druck, sich zu positionieren: „Wenn Sie Menschen hören wollen, die Ihnen ganz klipp und klar sagen, warum Israel im Recht ist und Palästina nicht, gibt es genug Kanäle. Wenn Sie Menschen suchen, die Ihnen erklären, warum Palästina im Recht ist und Israel im Unrecht, gibt es genauso viele Kanäle.“

Abt Schnabel in Köln: Räume der Begegnung und Versöhnung schaffen

Christen stehe es jedoch nicht zu, sich klar auf eine Seite zu stellen: „Ich bin weder pro Israel noch pro Palästina. Ich bin pro Mensch“, lautet seine Überzeugung. Das Schwenken von Fahnen, Singen von Nationalhymnen und Solidaritätsbekundungen im Internet für jeweils eine Seite nütze niemandem wirklich etwas, ist der Abt überzeugt.

Stattdessen sei es besser, Räume der Begegnung und Versöhnung zu schaffen: In Jerusalem habe seine Glaubensgemeinschaft nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober beispielsweise Konzerte organisiert, zu denen Menschen aller Religionen gemeinsam gekommen seien.

Und es sei wichtig, so sagt Schnabel, nicht nur für die Opfer des Konflikts zu beten, sondern auch für die Täter: „Dafür, dass sie bereuen und einen barmherzigen Gott finden.“ Alle Menschen seien immerhin nach dem Ebenbild Gottes geschaffen. Der eigentliche Konflikt findet aus Schnabels Sicht vor allem statt zwischen denen, die sich für ein friedliches Miteinander einsetzen und denen, die andere dämonisieren und ausgrenzen.

Gott sitzt nicht mit einem Atlas im Himmel und sagt: ‚Ich möchte, dass eine Grenze hier so verläuft und ich möchte, dass hier diese Fahne und dort diese Fahne weht.’

Dass das Aufbringen von Empathie für die andere Seite für die vom Krieg unmittelbar Betroffenen oft schwer bis unmöglich ist, dessen ist sich Schnabel bewusst. Wenn ein Verwandter oder Freund getötet, als Geisel verschleppt oder vergewaltigt wurde, sagten oft auch die Reflektiertesten und Friedfertigsten: „Ich schaff’s gerade nicht“, erzählt der Abt.

Er geht auch auf die manchmal prekäre Situation der christlichen Minderheit ein, die auf verschiedene Weise Opfer des Krieges geworden ist — auf israelischer wie auf palästinensischer Seite. Vier philippinische Christen, berichtet Schnabel, werden am 7. Oktober in Israel brutal von der Hamas getötet, darunter ein Mann, dessen Frau damals hochschwanger ist. Keine zwei Wochen später kommen im Gazastreifen 17 Christen ums Leben, als bei einem israelischen Luftangriff die Stützmauer eines Pfarrzentrums kollabiert.

Aber auch finanziell hätten viele Glaubensgeschwister in Israel große Schwierigkeiten, da sich seit Ausbruch des Krieges kaum noch Pilger und Touristen ins Land trauen. „Die Christen sind vor allem Busfahrer, Restaurantbesitzer, Krippenschnitzer, Reiseführer. Die haben seit einem halben Jahr keine Arbeit“, sagt Schnabel. „Das ist sozusagen das stille Leid, was die Welt nicht wahrnimmt.“

Kann es in dieser verfahrenen Situation überhaupt einen dauerhaften Frieden geben? „Ja, daran glaube ich. Ich bin Fraktion Optimismus“, sagt Schnabel im Gespräch mit der Rundschau. „International wird wieder auf den Nahen Osten geschaut, die Welt ist sich bewusst, dass da ein ungelöstes Problem ist.“

Für die Region brauche es eine tragfähige Zukunftsperspektive. „Die Lösung braucht die Unterstützung sowohl der westlichen als auch der arabischen Welt“, so Schnabel. „Aus meiner Sicht führt an einer Zwei-Staaten-Lösung kein Weg vorbei. Das ist die einzige Win-win-Situation, wo Israels Bedürfnis nach Sicherheit und Palästinas Bedürfnis nach Freiheit erfüllt werden.“

Rundschau abonnieren